1. April 2019

‚Verschwinde’ – Theater mit Menschen im Alter 60 +

„Von der Spitze eines Berges einer in die Tiefe sah

auf dem Grunde eines Meeres einer in die Höhe sah

aus der Mitte seiner Fragen einer ohne Antwort war

am Ende seines Lebens jemand erst am Anfang war“ (nach Erwin Koch, ‚Vom Verschwinden‘)

Wie es ist, wenn der Willy Habermacher verschwindet, eigentlich bereits verschwunden ist, für immer und endgültig, und doch noch da ist. Wie es ist, wenn einer in die  Bedeutungslosigkeit versinkt, keine Antwort auf Briefe bekommt, die er, das weiss man aber erst am Schluss, nie abgeschickt hat. Wie es ist, wenn Namen aus Gedächtnissen plötzlich verschwinden, wenn einem etwas nicht ‚z’Senn chonnt’, auch wenn es eben noch glasklar da war – wie das und viel Anderes ist, das bekamen die Zuschauerinnen und Zuschauer auf feinsinnig verspielte Art vorgeführt: Vom neugebildeten vierzehnköpfigen Ensemble ‚GREYHOUNDS’ des VorAlpentheaters Luzern (www.voralpentheater.ch). 

Was Reto Ambauen (Inszenierung) , Christoph Fellmann (Dramaturgie) und Chistov Rolla(Musik) mit den vierzehn Laiendarstellenden auf Grund der grandiosen Erzählung ‚Vom Verschwinden’ von Erwin Koch erarbeitet und erspielt haben, das hat mit üblichem und oft etwas vertaubtem oder bemüht lustigem Seniorentheater rein gar nichts zu tun. Poetisch, diese oft knappen Mundartsätze, die man erst einordnen muss,  sparsam, die Requisiten, durcheinander gewirbelt, die Chronologie eines Lebens: Da wurde munter vorgegriffen, verstand man Details erst später, wenn sie erneut aufgenommen und variiert wurden. Kein Lebenslauf von der Wiege bis zur Bahre bekam das Publikum auf dem Silbertablett präsentiert, sondern Versatzstücke eines Lebens, Episoden, Erinnerungen, Enttäuschungen, Schmerz. Sätze grad so, wie sie manchmal in einem alternden Kopf unvermittelt und ungeordnet auftauchen. Und wie diese vierzehn Frauen und Männer gesungen haben, mehrstimmig, rhythmisch und textlich sehr eigenwillig, wieder aus dem Leben dieses Habermachers, wie sie oben stehende kursiv gedruckte Textpassagen immer wieder als Chor einstreuten oder in knappsten Liedzeilen Leben, Lieben und Sterben seiner Frau Agnes gesungen haben: Ergreifend. Berührend. Und sofort wieder der schelle Wechsel, immer wieder, vom Anrührenden zum Komischen, vom Dunklen zum Heiteren – wie im richtigen Leben, das ohne solche Sprünge auch nicht auszuhalten wäre.

Es ist zu hoffen, dass ‚Verschwinde’ noch nicht verschwindet sondern nach den  Aufführungen im Theater Pavillon Luzern eine kleine Tournee machen kann. https://www.voralpentheater.ch/blog/greyhounds-in-den-medien

2 Kommentare

  • Le Grand Fred sagt:

    Nagel auf den Kopf getroffen, sooo gut! Ich – dem Kolissenschieber sind solche Komplimente Balsam für die stets älter werdende Seele! Es hat Spass gemacht, mitzumachen! Toll, kam das Fahrrad wieder zum Einsatz. Es war ein teures Raleigh-Fahrrad, mein Nonno schenkte es meiner Mutter zum 20. Geburtstag, es ist just 10 Jahre älter als ich!
    Meine beiden Enkel waren an der Derniere – unglaublich, was sie alles aufgenommen haben, Marc 7 Jährig fragte z.B. was mit dem Feuer auf dem untergehenden Schiff mit Steuermann John Menert los war …

  • Rita Duss sagt:

    Toll diese Rückmeldung, und sehr auf den Punkt gebracht….schön wenn unser Theater so angekommen ist…
    Es hat viel Spass gemacht, und es gab viele angenehme Begegnungen und Gespräche, die hoffentlich weiter nachwirken.

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