10. Januar 2023

Und wann ist mal nichts?

Die Weihnachtsbäume sind abgeräumt und entsorgt, die Lichterketten abmontiert, die Königskrone liegt zerfleddert in einer Ecke und das übriggebliebene Konfekt ist nicht mehr gefragt. In den Regalen der Supermärkte steht Fastnachtsgebäck, die Regionalzeitungen zeigen Bilder von Zunftmeistern und noch vor dem Gedrumse der Guggenmusiken steht uns die Invasion der Schokoladehasen bevor. Beim Nachdenken über die unablässige Folge von Ereignissen fällt mir immer wieder die Frage meines damals circa vierjährigen Sohnes ein, die lautete: Mama, und wann ist mal nichts? 
Es gibt Menschen, die bedauern, dass die Festtage vorbei sind und andere, die atmen auf. Es gibt Menschen, die hangeln sich von Ereignis zu Ereignis. Silvester, Neujahr, Fastnacht, Sportferien, Ostern, Geburtstage, Pfingsten und so weiter sind für sie die Lichtpunkte, der Rest ist in ihren Augen Trott. Und es gibt Menschen, die mögen den Alltag. Unspektakuläre Tage ohne besondere Ereignisse sind ihnen lieb. Tage, in denen nichts stattfindet ausser dem Wetter, dem Sonnenauf- und Untergang. Im Posteingang liegt mal wieder die Mail einer Todkranken, die dir vier Millionen vermachen will, die Trommel der Waschmaschine dreht und dreht, ein Auto blockiert die Busspur, der Katze gefällt der Regen nicht und du bereitest dir ein Omelett zu. Lesen. Die immer gleiche Runde im Wald, die Krähen flattern über die feuchten Äcker, die Tage sind leer, sie gehören nur dir, was gibt es Besseres? Jeden Morgen auf meiner immer gleichen Runde die immer selben Hunde mit den immer selben Besitzern. Ich bin keine Hundefreundin, dennoch erheitern mich die Vierbeiner in der Frühe des Morgens. Jene, die gleichmütig daher trotten, schön bei Fuss neben ihrem Meister, die Ungestümen, die unangeleint aufgeregt hin und her rennen und so bestimmt die vierfache Wegstrecke zurücklegen, die Furchterregenden, an kurzer Leine gehalten oder von der Besitzerin sofort am Halsband gepackt, wenn man sich ihnen nähert, die Missmutigen und Heiklen, die seltsame Decken tragen müssen, kaum sinkt die Temperatur endlich um ein paar Grade, die kleinen Fröhlichen, die auf mich zu rennen und dafür von ihrer Gebieterin einen Tadel kassieren. Ich schaue immer die Hunde an, nie ihre Besitzer. Die sind längst nicht so lustig und gut drauf wie die Tiere. Sie aber kennen mich, ich kenne sie, wir grüssen uns. Vermutlich riechen sie noch immer meinen Gefährten und vermissen ihn. Denn lange Zeit ging auch neben mir ein kleiner Hund. Er war unsichtbar und benahm sich oft unmöglich. Sprang an mir hoch. Kläffte. Knurrte. Schnappte. Oder er verschwand im Gebüsch und ich musste zusehen, dass ich ihn wieder fand. Der Hund hiess Text. Jetzt habe ich ihn weggeschickt. Und jetzt ist wirklich mal nichts.  

4 Kommentare

  • Heinz Gadient sagt:

    Wenn man die Wohnung eines Freundes von mir betritt, sieht man als erstes ein grosses Plakat, darauf steht: „Heute nichts erlebt. Auch gut,“

    • Michael sagt:

      „Heute nichts erlebt. Auch gut“. Der Satz gefällt mir. Wir leben in einer Zeit, in der so vieles erlebt werden will, erlebt werden soll. wie gut sind die stillen Momente des Nichtstuns.

  • Tschupp Priska sagt:

    Nichts erlebt? Dann würden wir ja nicht mehr leben. Jeder Atemzug ist Leben, egal ob wir daraus eine Fülle oder nichts ziehen. Der Umgang damit hängt von uns ab.

  • Martina Müller sagt:

    Ich kann mir anscheinend den Erlebnishunger nicht abgewöhnen. Ist mal länger „nichts“, dann kommt Zweifel am Lebenssinn auf. Ich werde unruhig. Unglücklich. Nörgelig. Mag mich nicht mehr.

    Besser is was.

    Aber nicht zu viel. Dann: Reizüberflutet. Erschöpft. Raus aus meiner Mitte. Mag keine Menschen mehr.

    Ja was denn nun?!

    Abwechslung!

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