18. Februar 2021

Aus dem Gesicht geschnitten

Heute schon geknipst? Das schnelle Bilder machen gehört zu unserem Alltag. Ich tue es auch. Solche Bilder sind Notizen. Rasch etwas festhalten. Eine Stimmung, ein Licht in einer Landschaft, eine bestimmte Situation. Es gibt Menschen, die werden ausgesprochen gerne fotografiert und sie fotografieren auch hemmungslos sich selbst. Gehören Sie dazu? Ich nicht. Und oft erschrecke ich, wenn ich Bilder von mir sehe. Bin ich das? Ist das nicht der Blick meiner Mutter, der mir aus dem Bild entgegenkommt? Steckt sie hinter meinem Gesicht und könnte es sein, dass sie dort immer mehr Platz einnimmt, je älter ich werde? Seltsam ist das, diese schleichende Verwandlung, die nur ich selbst sehen kann, was nicht überrascht, haben doch meine Verwandten noch in meiner Milchzähnezeit festgelegt, ich würde dem Vater ähnlich sehen. Was spielt sich da eigentlich ab zwischen Blick und Blick? Und was ist schon vorher passiert, als die Bilder, die nun vor mir liegen, entstanden sind? Alle die getauschten Blicke zwischen der Fotografin und mir, die ich etwas verwundert registriere, wie alles ablaufen soll. Dieser ganze Aufwand, den professionelle FotografInnen betreiben, bevor sie einen Menschen fotografieren, im Freien zum Beispiel. Was sie an Ausrüstung und Material anschleppen, was sie installieren und arrangieren, bevor es losgeht, während du ihnen beklommen zuschaust und merkst, dass du kaum benennen kannst, womit sie mit ruhigem Ernst hantieren. Und was dir vielleicht Sicherheit vermitteln soll, schüchtert dich noch mehr ein. Locker, sagst du zu dir selbst und dein Gesicht friert ein. 
Fotografiert zu werden ist ein Frage- und Antwortspiel ausschliesslich über Blicke. Ich sehe was, was du nicht siehst, sagt die Fotografin. Ich errate nicht, was du siehst, sage ich. Sie aber leuchtet aus, was sie sieht und ich mache mich ganz klein, verstecke mich. Nach geraumer Zeit erst, in der sie geduldig so tut, als würde sie eben die Aufnahmen ihres Lebens machen, krieche ich unter dem Tisch hervor. Sie schaut und ich schaue zurück. Sie hat ihre Mittel. Sie wirken. Sich ihnen zu entziehen funktioniert nicht mehr. Sie fragt und ich antworte. Es fällt kein Wort. Anspannung und Zauber. Über den Wintersee fährt nun tatsächlich ein Schiff. Diesen See hast du im Rücken und du schwimmst durch die Zeit, wenn du später die Bilder betrachtest.

Einen Kommentar

  • Katharina sagt:

    Liebe Theres, ich habe die letzten Wochen Fotos sortiert und geklebt und freute mich an den schwarzweissen viereckigen Kleinkinder Aufnahmen mit dem gezackten Rand.Diese Unschuld, mit der ich in die Welt schaute, die hätte ich manchal gerne wieder. Später kam die Scham dazu, wegen den beiden kleinen braunen Wärzchen auf der Wange drehte ich den Kopf zur Seite und nach einer Augenoperation erst recht.
    In der Pubertät und später schaute ich immer weg, mit Vorzug auf den Boden. Die Schwester war schön und dies sah man auf jedem Bild.
    Viel später traf ich einen Fotografen aus Berlin, der auf Portraits spezialisiert war.Seine Haltung vergesse ich nicht mehr: Er fotografiere das Gesicht immer direkt, von vorne; dies seien Seelenlandschaften, die sich in Fältchen abzeichneten und der Ausdruck offenbare das Wesen des Menschen.
    Ich bleibe noch ein wenig schüchtern und erschrecke manchmal über die Gesichter, die mit Spritzen verfälscht sind und ich nicht mehr weiss, was noch echt ist. Dann bleibe ich doch lieber bei meinen ungleichen Augen, die durch einen Unfall zu meinem Gesicht gehören.
    Lieber Gruss Katharina

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