18. Dezember 2019
Wenn der Kältetod droht
Die Wetterprognose war nicht optimal, aber sie sind dennoch aufgebrochen zu einer Skitour: Kathrin, Ärztin und Mutter von zwei Kleinkindern, Myriam, Cellistin, und Leon, ein älterer Gymnasiallehrer mit viel Bergerfahrung. Der Entscheid war falsch. Das Trio erreicht zwar die Berghütte, aber das Wetter kippt, ein Schneesturm zieht auf, es schneit und schneit und der Nebel übernimmt die Herrschaft am Berg. Dennoch beschliesst die kleine Gruppe anderntags, die Abfahrt zu wagen. Die Unternehmung scheitert. Nur mit viel Glück und unter enormem Kräfteeinsatz erreichen die drei einen Rettungscontainer. Da drinnen müssen sie ausharren. Müssen sie ihre kargen Vorräte, die Kälte, die Gedanken, die Verzweiflung und das Schweigen teilen. Tage- und nächtelang. Mit ungewissem Ausgang.
Die Erzählung ‚Schneewand‘ von Peter Weibel ist kein Bericht einer waghalsigen Unternehmung dreier verrückter Sportler auf der Suche nach dem ultimativem Kick und ihrer sensationellen Rettung. Überhaupt nicht. Vielmehr zeichnet der Autor in knappen Strichen eine vielschichtige Grenzerfahrung, die keiner der drei Protagonisten gesucht hat. Einerseits erfahren die Lesenden, was Kälte und Entbehrung mit dem Körper machen, andererseits beleuchtet er, wie die Psyche versucht, mit der Extremsituation klar zu kommen. Dreimal verschieden zeichnet der Autor die Macht der aufsteigenden Bilder, die Macht der Hoffnung, die Sehnsucht nach dem vertrauen Alltag und die Macht der bedrückenden Angst. Und immer wieder fokussiert er auf die Freundschaft und die solidarische Verbundenheit zwischen seinen drei Figuren – und das ganz ohne Absturz in den Kitsch. Wie gelingt ihm das? Indem er die ihm bestimmt vertraut sein müssenden Naturphänomene fast sachlich skizziert und damit eine der Situation angemessene karge Poesie erzeugt. Und vor allem, indem er Raum lässt für die Gedanken und die Fragen jener Lesenden, die sich auf diese kalte Reise mitnehmen lassen. Unbedingt lohnenswert.
Peter Weibel, ‚Schneewand‘, Erzählung, edition bücherlese Luzern 2019, 110 Seiten.
Wunderschöne Blogs, Literatur vom feinsten. Danke, Theres