1. Juli 2020

Umschwung

Die Posten des Vitaparcours sind harmlos, stehen sie doch mitten im Wald und steht es uns frei, sie zu benutzen oder sie zu ignorieren. Dennoch, diese Stangen hier erinnern mich sofort an die Reckstangen von Turnhallen, an magnesiumweisse Hände und blaue Kniekehlen vom ewigen und vergeblichen Üben des Knieab- Auf- und Umschwungs, des Felgaufzugs oder hiess es Felgaufschwungs, ich weiss es nicht mehr, aber dass bei mir keinerlei Schwung vorhanden war, das weiss ich noch genau. Die Magenbeschwerden vor den Turnstunden, die Angst vor Geräten wie Reck, Kletterstangen, Schwedenkasten und Stufenbarren, die Scham, die geforderten Schwünge und Sprünge und Drehungen und Wendungen beim besten Willen nicht zu schaffen und vorgeführt zu werden bei den Leistungstests – das alles kann ich wieder abrufen, wenn ich vor diesem Posten im Wald stehe. Erst in jüngster Zeit – immerhin hat es mehr als ein halbes Jahrhundert gedauert – bin ich wirklich davon überzeugt, dass man auch ohne den Felgaufzug zu beherrschen beschwingt durchs Leben kommt.

6 Kommentare

  • Heinz Gadient sagt:

    Peter Bichsel hat einmal gesagt, er habe als Kind zum Herrgott gebetet um eine Note schlechter im Aufsatz, dafür 30cm weiter im Weitsprung.

  • Ina sagt:

    Danke für Deinen Text zum Umschwung, der in diesem Fall rein gar nichts mit der Länderei rund um den Wohnsitz zu tun hat, sondern mit dem Schwung, der einen aus der Kurve tragen kann. Beim Lesen habe ich mich ebenfalls erinnert an die schlimmen Erlebnisse im Turnunterricht, an all diese Geräte, die offenbar nur zur Qual mittelgrosser Kinder ersonnen waren. Vom Schwebebalken bin ich dann auch nicht geschwebt, sondern geplumpst. So kam es zu einem gebrochen Arm und – das hingegen war sensationell – einer Bonanza-Schallplatte, die noch niemand in Deutschland hatte. Ich wurde von einem meiner canadischen Onkeln mit dieser Rarität getröstet. In Deiner Aufzählung fehlt nur noch das ganze Vorher-/Nachher-Prozedere in den Umkleidekabinen. Weisses Hemd, 1:1 gerippt, und eine unförmige schwarze Turnhose. Dieser ganze Turn-Terror hielt sich wacker bis zur Matrura und hätten wir dann nicht mit einer frei gewählten ‚Performance‘ abschliessen dürfen, müsste ich vielleicht immer noch einsame Runden auf der Aschenbahn drehen oder den Umschwung üben. So aber durfte ich mit einer Choreografie auf Brubecks „Take five“ abschliessen.

  • debora sagt:

    Voll Mitgefühl und begeistert über Deine Schreibkunst auch diesmal lese ich Deinen Text, auch grad der Erinnerungen voll.. – weniger das Turnen, aber diese Angst vor der Handarbeits-Nonne, wo ich als Linkshänder (der beim besten Willen nicht mal die Schere schnitt…) und auch sonst sehr Unbegabte für solches schlicht nichts konnte, was den tüchtigen (und teilweise ja so braven) Meitli des Dorfes offenbar sehr leicht fiel. Mit den heftigen Kopfnüssen der Nonne und ihren Schimpftiraden kam es dann soweit, dass ich oftmals Uebelkeit an solchem Schulmorgen vortäuschte, zumindest bis etwa halb 10h, bis es sicher war, dass ich nicht doch noch in die Schule müsste. Worauf innert wenigen Wochen ich von der Klasse aber „drankam“, dass es mir gewiss gar nicht übel sei und ich bloss nicht zur Schule wolle. Die Wochen drauf dann: wirklich am Erbrechen an jenem verhassten Morgen. – Peanuts, jaja.

  • Michael sagt:

    Etwa 25 Jahre nach der Matur steht ein Herr in einem Schreibwarengeschäft neben mir und duzt mich. Es ist mein früherer Sportlehrer am Gymnasium. Ich staune: Wie kann ein Lehrer, der sehr viele Schüler erlebt hat, sich an einen, an mich erinnern? Er lacht und erzählt mir, ich sei sein schlechtester Turnschüler seiner bisherigen Laufbahn als Sportlehrer gewesen. Und dann erinnert er mich daran, wie ich beim Hürdenlauf vor jedem Tor (oder wie heissen diese gefährlichen Objekte?) stehen blieb. Ja, Sportunterricht war nichts für mich.

  • Theres sagt:

    Wunderbar all eure Kommentare und eMails als Reaktion auf „Umschwung“ – vielen Dank dafür. Ich staune, wie verbreitet düstere Erinnerungen an den „Turn-Terror“ sind, wie Ina es ausdrückt. Turnschwäche war im Gegensatz zu z.B. Rechtschreibschwäche so gut sichtbar. Das Versagen war ausgestellt, die Körperbeherrschung eben mangelhaft und also der Körper nicht in Ordnung…

  • Gabriela sagt:

    Ja, den Auf- und Abschwung beim Turnen zu können, das war damals schon fast die halbe Goldmedaille zu gewinnen. Den Umschwung kannte ich nicht und kenne ihn nur rund ums Haus. Mit diesen Ausdruck bin ich in Deutschland jedoch ganz schräg angeschaut worden, als ich von einem „Haus mit viel Umschwung“ erzählte. Niemand hat ihn verstanden und ich musste „umständlich“ versuchen, ihn zu beschreiben. Wahrscheinlich auch dieses Wort wieder so ein Helvetismus! Gestolpert bin ich mit meinen Schweizer Ausdrücken oft. Aber manche wurde auch hier adaptiert. Mein Mann hat jedenfalls bei seinen Schülern viel Erstaunen hervorgerufen, als er sie bat, die Hefte zu „versorgen“.

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