7. März 2019

Rücksicht

„Will man in die Wirklichkeit eindringen, wie sie für den Einzelnen ist – und irgendeine andere Wirklichkeit gibt es nicht –, will man es wirklich, dann kann man keine Rücksicht nehmen. Und das tut weh. Es schmerzt, wenn keine Rücksicht genommen wird, und es schmerzt, keine Rücksicht zu nehmen. Dieser Roman hat allen in meiner Umgebung wehgetan, und er hat mir wehgetan, und in einigen Jahren, wenn sie groß genug sind, um ihn zu lesen, wird er meinen Kindern wehtun. Hätte ich ihn noch schmerzhafter werden lassen, wäre er noch wahrer geworden. Es war ein Experiment, und es ist missglückt, denn ich habe niemals auch nur annähernd gesagt, was ich eigentlich meine, und beschrieben, was ich eigentlich gesehen habe.“
Aus: Karl Ove Knausgård: Kämpfen. Luchterhand, München 2017

Ein weiteres Beispiel zum Eingangszitat meiner Homepage! Sogar missglückt sei das mehr als fünftausend Seiten umfassende autobiografische Romanprojekt, meint sein Autor am Ende des sechsten und letzten Bandes. Ich habe alle sechs Bände gelesen, am Anfang mit grosser Begeisterung, allmählich mit etwas sinkender Leselust, aber stets mit Bewunderung für soviel akribische Ausdauer. Und die Frage nach der Rücksicht beschäftigt jede/jeden, die/der schreibt. Man greift ja nicht alles aus der Luft, sondern streckt die Fühler aus, tastet die Umgebung ab, schwirrt ein wenig herum im eigenen Gedächtnis und sortiert, was man vorgefunden hat.  Nur, die Tastatur, mit der man hernach festhalten will, worauf man gestossen ist, diese Tastatur funktioniert nach höchst eigenwilligen  Regeln. Unter der Hand bzw. unter den Händen verwandelt sich Erdachtes, Erlebtes, Erfundenes, Emotionales und Erträumtes in ein Gebilde, das nur noch aus Sätzen besteht. Du hast die Finger im Spiel und du hast die Finger nicht im Spiel. Aber du hältst die Buchstabensuppe beharrlich am Köcheln. 

Einen Kommentar

  • Barbara Pallecchi sagt:

    „Erdachtes, Erlebtes, Erfundenes, Emotionales und Erträumtes“, schreibst du, und in den Morgenstunden sind es diese Wörter, die in meinem Kopf weiterklingen. Für Schmerzhaftes ist es mir noch zu früh. Weitere Wörter stellen sich ein, Ersonnenes – was mir sehr gut gefällt, er-sinnen, das Verb – Erahntes, Erschlichenes. Und das Wort erschleichen führt mich doch wieder zur Frage nach der Rücksicht, ja, auch Erschlichenes mischt sich unter meine Buchstabensuppe.

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