15. Februar 2022
Fortsetzung folgt
Nichts ist zu Ende – diesen harmlosen Satz las ich neulich in einer Zeitung und er brachte mich ins Nachdenken. Stimmt diese Aussage? Es endet doch so vieles. Ein Urlaub, der Winter, eine Reise. Beziehungen. Märchen. Geschichten. Wobei Beziehungen, Märchen und Geschichten zusammengehören. Never ending stories irgendwie. Als meine Kinder Märchen hören wollten, wobei es immer dasselbe Märchen war, ‚Der Wolf und die sieben Geisslein‘ nämlich, wollten sie es immer und immer wieder von vorne hören und es musste alles haarklein und ganz genau gleich erzählt werden. Kommt Ihnen ganz bestimmt bekannt vor, nicht? Und als ich ein Kind war, las ich jeden Werktag in der Zeitung meiner Eltern den Vorabdruck von Romanen und am meisten freute ich mich über den Hinweis am Ende der Seite: Fortsetzung folgt. Ich schnitt die Viertelzeitungsseiten stets sorgfältig aus, heftete sie ab und hatte so ein eigenes Buch, das täglich weiter geschrieben wurde. Ich lebte mit den Figuren, bangte um sie, liebte sie und konnte sie doch nicht beschützen, wenn ihnen Schreckliches zustiess. Und diese Geschichte geht tatsächlich immer weiter. Bei jedem Buch, das ich lese. Bei jeder Serie, die ich schaue. Derzeit lese ich einen Roman wieder, den ich vor 33 Jahren gelesen habe. Fast mein halbes Leben zurück also. Ich erinnerte mich sehr gut an seinen Ton, nicht aber an seinen Inhalt, der mir aber nach ein paar Seiten Lektüre stückweise wieder einfiel. Und noch etwas fiel mir wieder ein und das Erlebnis war eigenartig, als würde ich doppelt lesen. Ich konnte mich wieder ziemlich genau hineinversetzen in mein Leben, wie es war vor 33 Jahren. Sah Bilder, Räume und Menschen wieder, an die ich ewig nicht mehr gedacht habe. Begegnete Empfindungen, Gedanken, Gefühlen. Nichts ist zu Ende. Alles dauert und hält an. Tun Sie es auch. Lesen Sie mal ein Buch zum zweiten Mal, das sie vor langer Zeit gelesen haben. Und noch was: Lesen Sie bitte ‚ein Festtag‘ von Graham Swift. Und gehen Sie erst hinterher ins Kino, denn der Roman ist verfilmt worden, ‚Mothering Sunday‘ läuft derzeit in den Kinos. Eine Freundin hat mich auf Buch und Film hingewiesen. Worauf ich das Buch umgehend gekauft habe – und es nun zweimal besitze, aber das ist eine andere Geschichte, die nicht zu Ende ist …
Sehr schön! Ich habe interessanterweise „ein Festtag“ auch vor kurzem gelesen! Und den Film werde ich mir auf jeden Fall anschauen 🙂 Viele Grüsse
Ein Buch und seine Verfilmung. Ich bin da jeweils sehr vorsichtig: Meistens kann der Film nicht mithalten. Meine Bilder vom Buch, von seiner Personage, von den Orten, an denen er spielt, sind längst gemacht. Ich zögere jeweils, den verfilmten Roman im Kino oder am Bildschirm anzuschauen. „Jahrestage“ von Uwe Johnson habe ich vor mehr als 33 Jahren gelesen. (na ja, den vierten Band hatte ich nicht mehr geschafft). „Jahrestage“ soll es als Film geben. Sogar meine Buchhändlerin hat mir den Film empfohlen. Was aber wenn Gesine Cresspahl im Film so anders aussieht? Was wenn Jerichow in Mecklenburg-Vorpommern jetzt verfallener wirkt als in meiner Phantasie. Ich zögere.
Never ending stories!Der Wolf und die 7 Geisslein , diese Geschichte hab ich immer geliebt, weil der Wolf bestraft wird und die Mutter Geiss genau wusste was machen! So emanzipiert!
Ich kenne weder Buch noch Film; danke für die Hinweise. Und für Deine Blogs! Mögen sie noch lange immer wieder geschrieben werden. I love them.
Es ist zum Staunen, liebe Theres, welche Fragen Dir so durchs Gemüt spazieren.
Ist es so, das nichts zu Ende ist? Mir scheint auch, dass eine Geschichte nie zu Ende ist, auch wenn sie zu Ende ist. Weil sie nachklingt, weil sie den Erfahrungsschatz bereichert, weil sie Gedanken auf den Weg schickt. Vielleicht überlebt nicht jede Geschichte in unseren Gemütern, das wäre zu hoffen, sonst wären wir bald überladen, aber ich denke, es gibt diese Geschichten, die in Bläschen immer mal wieder auftauchen, obwohl sie, oder vielleicht auch weil sie, zu Ende sind.
Danke für Deine immer wieder sehr spannenden Denkanstösse
und liebe Grüsse
Linda