13. September 2019
À discrétion
Sie trinken Caotina zum Frühstück. Holen sich mehrfach grosse Portionen Flakes mit kalter Milch am Buffet und schaufeln sie still und schnell in sich hinein. Beide tragen Kopfhörer. Bevor sie sich erneut bedienen am Buffet, spielen sie auf ihren Handys. Sie hat ihr Haar hochgebunden zu einem Pferdeschwanz, er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift I believe in love. Noch hat sich sein Jungengesicht nicht vollständig erholt von der Pubertätsakne. Der Kellner hatte ihnen einen Wechsel zu einem Tisch am Fenster angeboten, sie lehnten ab, mussten zuerst die Kopfhörer ablegen, damit sie ihn verstanden. Nun legt er seine Hand auf ihre Hand, sie geben sich einen kurzen Blick und schaufeln dann weiter Flakes in sich hinein, beide Rechtshänder. Ihr Handy surrt. Mami, sagt sie. Ja, alles okay, so weit.
Endlich haben sie sich verständigt und einen Tisch am Fenster gewählt. Bedächtig gehen sie darauf zu, halten sich an der Tischplatte fest und setzen sich vorsichtig auf die schmalen Stühle. Sie trägt einen dunkelblauen Faltenrock, eine weisse, frisch gebügelte Bluse und Schuhe, die gut sind zu ihren Füssen. Er steckt in einem gemusterten Polohemd, darüber hat er einen selbstgestrickten Pullunder gezogen, seine Hose ist wohl eine alte Anzugshose mit einer Andeutung von Bügelfalten. Braune, alte Halbschuhe, auf Hochglanz poliert. Sie warten. Sie schauen sich verstohlen um. Beobachten die andern Gäste, die sich im Frühstücksraum ohne Eile zum Buffet begeben, das Angebot studieren und sich bedienen. Sie schauen aus dem Fenster. Lange. Der goldene Herbst beginnt, sagt sie. Er nickt und nickt. Das Nicken hört auch nicht auf, als der Kellner ihnen zwei kleine Gläschen mit frisch gepresstem Mangosaft an den Tisch bringt. Er zeigt zum Buffet, lächelt aufmunternd, wünscht guten Appetit und verschwindet. Die Beiden schauen sich besorgt an und mir fällt eine Geschichte ein, die eine junge Frau in einer Schreibwerkstatt geschrieben hat, dreissig Jahre sind das her, der erste Satz lautete: Ich war noch nie in einem Hotel. Der Text, hatte Jule hinterher erklärt, sei autobiografisch.
Ich mag Frühstücksbuffets nur in kleinen Hotels. Am liebsten habe ich es, wenn man mir kleine Schälchen mit Konfitüre, Butter, Oliven, Früchten, Joghurt, Milch und dazu ein, zwei Überraschungen an den Tisch bringt. So wird es auf der Dachterrasse eines Riad in Essaouira serviert, wo die Möwen während dem Frühstück auf den weissen Mauern ihre Schnäbel zum Himmel hoch aufreissen und dieses eigentümlich gurrende Kreischen von sich geben, das ich nur mit Essaouira verbinde. Sie warten bis wir den Tisch verlassen und sie sich eine Scheibe Baguette oder ein Stück Omelette schnappen können. Sie landen mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Tisch und ein Raunen geht über die Terrasse. Die Vögel sind gross. Frühstücksbuffets in grossen Hotels hasse ich. Die zerstocherte Butter, die zerhackten Käselaibe, das Brotmesser, das nicht schneidet, das Geläufe und Gerenne im Saal, wenn es ein Familienhotel ist. Ich liebe die Stille am Morgen und mag es nicht, wenn sie zerredet, zerhackt, zerbröselt wird.
Jule war noch nie in einem Hotel. Wie schade. Ich kenne mich nicht gut aus in deutschen Vornamen. Jule eine Frau? Ich kenne eine Frau, die Juli heisst. Jule ein Mann? Jule ist um zwei Erfahrungen ärmer als ich. Immer wieder übernachte ich in Hotels oder Pensionen. Am liebsten in familiengeführten Betrieben auf dem Land. Da kann ich einige empfehlen. Ich habe ein Hotelritual. Wenn ich aufstehe, fotografiere ich stets die Bettdecke. Nichts wird arrangierrt. So wie sie da liegt wird sie fotografiert. Ist die Bettdecke weiss, dann sieht das Bild so aus, als sei es im Norden von Grönland aufgenommen worden. Da sind Berge und Schluchten zu sehen, alles weiss. Schnee im hohen Norden. Beim Frühstück wird immer wieder die nächste Hotelaufnahme gemacht. In er Schweiz und in Deutschland, diesen Ländern, in denen Ordnung eine wichtige Bürgertugend ist, steht häufig auf dem Frühtückstisch ein Gefäss aus Plastik, es ist eine Art Mülleimerchen, wo Butterpapier, Konfitürenbehälter aus Alu, gebrauchte Teebeutel und Eierschalen oder andere Essensreste landen. Diese Gefässe sind wirklich sehr praktisch. Aber sie sind auch ein Ausbund aus Kleinbürgerlichkeit. Hauptsache Ordnung herrscht. Jule sollte mal mitkommen. Zum Beispiel ins Alte Wirtshaus in Fördergersdorf (Sachsen)
Jule ist für mich ein Mädchenname. Ich kenne zwei in meinem direkten Umfeld. Aber gut, wenn der Name geschlechtsneutral ist, kommt bei mir auf die entsprechende Liste!