21. April 2019
Wollen wir überhaupt Damen werden?
„Les dames“, Dokfilm von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond
Die meisten der Zuschauerinnen waren Frauen in meinem Alter, viele zusammen mit ihren Freundinnen, die sich im Kino den Dokfilm ‚Les dames’ der beiden Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond anschauten. Ich war allein dort und hatte mir, wer weiss weshalb, zum ersten Mal in meinem Kinoleben einen Aperol Spritz mit in den Saal genommen. Das war eine gute Idee, prostete ich doch nicht nur mir selbst ein paarmal zu, sondern immer mal wieder auch Carmen, Noëlle, Pierette, Marion und Odile, den Protagonistinnen des Films, kam mir doch vor, sie könnten etwas Zuspruch vertragen.
Der Film sei heiter und traurig zugleich, heisst es. Und in der Tat kamen mir die Anfangsszenen der tanzenden und kontaktsuchenden Alten in einem Mehrzweckgebäude doch sehr traurig und irgendwie schauerlich vor. Und wenn eine der porträtierten Damen uns ihre winzige Wohnung zeigte, in die sie gezogen war, als ihr Ehemann sich eine Jüngere zugelegt hatte, und sie sagte, dort und nur dort fühle sie sich wohl, und sie koche nie, sie esse nur noch kalt, und sie muss dort jeden Abend das Sofa zuerst umfunktionieren zu ihrem Bett, da fürchtete ich schon, mein Aperitif sei wohl zu schnell leer getrunken. Aber dann kam zum Glück jene Frau, die im vorgerückten Alter jagt, nicht nach Männern, sondern nach Bildern von Tieren. Sie zieht mit ihrer Kamera allein los, in den Wald, sie hat spät im Leben noch schiessen gelernt, sonderbar zwar, aber immerhin, sie hat noch was Neues gelernt, und sie bezeichnet ihre Jägerkollegen als Brüder, unter denen sie sich wohl fühle. Und so weiter. Die Geschichten der fünf Frauen gehen ans Herz, es gibt tolle Bilder im Film, die eine, eine Pastorenwitwe, wohnt wie im Märchen, eine andere beweist sehr viel Stilsicherheit, als sie sich eine neue Garderobe und eine neue Frisur zulegt – nur, weshalb tut sie das? Nicht einfach für sich selbst, nein, sie will eine gute Falle machen auf einer Datingplattform. Und angelt dann auch tatsächlich den Prinzen, wovon die andern nur träumen können und das auch ausführlich tun.
Mir hat der Film in vielen Aspekten gefallen, in andern hat er mich etwas ungehalten gemacht: Weshalb hat die Mehrheit der gezeigten Frauen keine Tätigkeit, keine Passion, keine Leidenschaft, weshalb brennen diese Frauen nicht für etwas? Weshalb suchen sie mehr oder weniger explizit nach einem neuem Partner und erwarten oder erhoffen wohl, mit ihm seien dann alle Probleme gelöst? In welcher Zeit sind sie denn aufgewachsen? Und welche Berufe hatten sie gehabt? Haben denn die Einsamsten unter ihnen im Laufe der Jahrzehnte keine stabilen Beziehungen zu Freundinnen und Freunden aufbauen können und weshalb nicht?
Als ich über den Dokfilm ‚Les dames’ recherchierte, bin ich in einem Beitrag auf eine mich schockierende Bemerkung gestossen: ‚Frauen, die wüssten, dass ‚ihr Datum abgelaufen sei’, seien die Protagonistinnen des Films. Hallo, wo sind wir denn? Und was denken andere Damen* über den Film? (*Herren sind mitgemeint).
Soo, gestern habe ich mir nun ‚les dames‘ auch angeschaut.
(ohne Apérol Spritz, aber auch allein, d.h. in Gesellschaft von ca. 10 unbekannten Frauen und einem Mann)
Du sprichst mir aus dem Herzen! Immerhin machte ich bei
drei Frauen eine Passion aus: bei der Fotografin/Jägerin, beim
‚Kitsch-Gritli‘ (böse, ich weiss)/ sie war doch wieder glücklich, als sie wieder andere verwöhnen, Räume dekorieren… konnte. Ist doch auch gut… Und die Pastoren-Frau mit ihren Flöten-Stunden und dem Streichquartett und dem Orchester braucht ja auch nicht unbedingt einen Mann.
Und das mit dem Brennen für etwas ist so eine Sache… Wäre mal ein interessantes Diskussionsthema. Schön, wenn es jemand hat und schwierig, wenns nicht so ist (solche Zeiten kennt wohl auch jede/jeder)