7. März 2021

Vorfreude

Die Vorfreude war eines der intensivsten Gefühle meiner Kindheit: Vorfreude auf den ersten Schultag nach den Ferien, Vorfreude auf die Fasnacht, auf Ostern, Pfingsten, die Schulreise, den Geburtstag und am allerstärksten die Vorfreude auf Weihnachten. Und dann begann es wieder von vorne mit dem sich Vorfreuen. Vielleicht war dieses Gefühl so stark, weil wenig passierte, die Zeit quälend langsam dahinschlich und ich mich danach sehnte, kein Kind mehr zu sein. Vielleicht ist Vorfreude überhaupt ein kindliches Gefühl, das mit zunehmendem Alter abstumpft, weil immer weniger bevorsteht, vieles schon oft erlebt worden ist, darunter auch die Erfahrung: Das voller Vorfreude Herbeigesehnte erwies sich als Enttäuschung. Aber was ist sie denn, die Vorfreude? Wikipedia sagt ganz nüchtern folgendes zum Begriff: «Die Vorfreude ist eine Emotion, die durch die Erwartung eines künftigen, positiven Ereignisses gekennzeichnet ist. Sie wird durch das Eintreffen dieses Ereignisses beendet». Vorfreude ist also Erwarten, Ersehnen, Plangen, wie es im Dialekt heisst, auf ein Ereignis, auf ein Erlebnis. Vorfreude ist Mut und Hoffnung, Erwartung und Aufregung. Vielleicht mischt sich auch eine Spur Ungeduld hinein, bisweilen gar schleicht sich ein kleiner Zweifel ein, leises Misstrauen gegen die Vorfreude ein: Freue dich nicht zu früh, sagen die Vorsichtigen. 

Worauf freuen Sie sich? Klar, auf das Ende der Pandemie, aber wann das sein wird, steht in den Sternen. Somit wabert diese Vorfreude irgendwie ziellos durch die Gegend. Ich zum Beispiel freue mich ganz konkret auf die Tulpen im Garten. Auf den Tulpentrost in allen Farben, den die Wunderblumen im Freiland noch intensiver verströmen als in der Vase, wo stets die Furcht mitschwingt, sie könnten über Nacht schon knicken. Meine Schwester sagt, die gelben Tulpen hielten am längsten. Sie spreche aus Erfahrung, die Gelben seien die Dauerhaftesten. Egal, ich kaufe die Frühlingsboten aus Holland schon gegen Ende des Winters in allen Farben. Und wäre ich eine Tulpe, würde ich mich über viel Platz, Licht und einen hellen Himmel freuen. Deshalb sperre ich die Tulpen im Garten nie in eine Vase, auch dieses Jahr werde ich es nicht tun. Aber ich bin keine Tulpe, sondern eine Autorin. Und am kommenden Mittwoch wird meine zweite vorsichtige Vorfreude laut Wikipedia enden. Denn dann wird «Geisterfahrten» in den Buchhandlungen stehen, mein neuer Roman, verlegt in der edition bücherlese, Luzern. Darin gibt es auch eine kleine Passage zum Thema Vorfreude. Lisa, eine der Protagonistinnen, sagt: « (…) hatte ich mich doch unglaublich auf die Reise und auf die Ferientage gefreut. Schon damals allerdings war mir bewusst, dass auch das, worauf man sich freut, alles Schöne also, vorbeigehen würde. So hat sich in die Vorfreude und in jeden einzelnen Ferientag bereits so etwas wie Vorschmerz über das unabänderliche, künftige Ende des Aufenthaltes gemischt.»
Eine befreundete Autorin schrieb vor kurzem zu ihren eigenen, bislang erschienen Büchern: «Es sind jetzt drei Halunken. Und sie sammeln Schrammen. Unterwegs.» Gut, wenn nur die Bücher Schrammen abbekommen und nicht ihre AutorInnen ….

Wenn Sie schon jetzt etwas mehr wissen möchten über «Geisterfahrten»: 
«Leben nach dem Tod» – 041 – Das Kulturmagazin, März 2021 (PDF)
«Es geht um’s Verschaffen. Darum, auch dem Schmerz einen Platz zu geben.» – TRH im Gespräch mit der Literaturkritikerin Bernadette Conrad – «Fridays for Literature». Literaturhaus Zentralschweiz lit.z, März 2021 (PDF)

5 Kommentare

  • Livia sagt:

    Ich erwarte Dein Buch auch schon mit großer Vorfreude. Mit noch mehr Vorfreude warte ich jedoch auf ein Wiedersehen. Wie weit 1000 km werden in einer Pandemie….

    • Theres sagt:

      Oh ja, meine Liebe! Ich freue mich auch so sehr aufs Wiedersehn. Unglaublich, mehr als sieben Monate haben wir uns nicht mehr gesehen….

  • Judith sagt:

    Diesmal wird sich deine Vorfreude ganz bestimmt nicht als Enttäuschung herausstellen!

  • Nellirasante sagt:

    Ach, so schön, danke für dieses Vorfreude Zückerli!
    Du sprichst mir aus dem Herzen, so ist es… und nein, wir wollen sie auch im Alter nicht verlieren, die kindliche Vorfreude!
    Das mit den gelben Tulpen und deiner Schwester will ich mir merken.
    Der „Reigen der Vorfreuden“ durchs Jahr hat mir besonders gut gefallen.
    Die Vorfreude auf den ersten Prosecco mit dir im Leuen auf der Terrasse……
    Und auf dein neues Buch freu ich mich sehr!

  • katharina sagt:

    Genau, da möchte ich mir doch etwas davon bewahren aus meiner Kindheit… zB die Vorfreude auf Weihnachten, die bereits im September begann…Natürlich hat sich dies inzwischen geändert..
    Doch Herzklopfen stellt sich jedes Mal heute noch ein, wenn wir im Zug Richtung Marseille reisen und ich immer mehr von meinem Buch aufschauen muss um ja nichts zu verpassen.Zuerst sind es die langsamen Veränderungen in der Landschaft , provenzialische Städte von weitem und irgendwann ist es soweit…. die Magie des Meeres..Und dann lege ich das Buch endgültig weg!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Blog via Email abonnieren

Gib deine E-Mail-Adresse an, um diesen Blog zu abonnieren und Benachrichtigungen über neue Beiträge via E-Mail zu erhalten.

Loading

Deine Daten werden ausschliesslich für den Newsletter verwendet. Mehr dazu findest du in der Datenschutzerklärung.