10. September 2021

Puppendramen

lost and not found

Neulich ein kleines Mädchen beobachtet, das auf dem Strässchen vor seinem Zuhause sass, neben ihm, an sein linkes Bein gelehnt, sass eine Puppe. Die beiden waren in ein Gespräch verwickelt. Es ging vermutlich um ernsthafte Themen, denn der einzige Satzfetzen, den ich verstand, lautete: … dann vielleicht Freunde werden. Leider bemerkte mich das Mädchen, verstummte sofort und auch die Puppe schwieg. Deren Gliedmassen und der Kopf bestanden aus Plastik, der Körper aus Stopfwatte steckte in einem ehemals weissen Überzug. Die Puppe trug keine Kleider, das Mädchen hingegen ein adrett-luftiges Sommerkleidchen, es war barfuss, sein braunes Haar hatte jemand zu einer komplizierten Frisur geflochten. Ich störte nicht länger und ging meines Weges, nahm aber mit einem Ohr noch wahr, dass die beiden ihr Gespräch fortsetzten. 
Natürlich wäre diese Geschichte besser, wenn anstelle des Mädchens ein Junge so vertieft gewesen wäre in Puppengespräche. War aber leider nicht so. Und keiner der Enkel in unserer Patchworkfamilie spielt mit Puppen, auch wenn wir uns redlich redlich bemüht haben. Immerhin kenne ich einige Männer, jüngere und ältere, die erzählen, wie sie früher mit Puppen gespielt, aber stets dafür gesorgt hätten, sie in der hintersten Schrankecke zu verstecken, bevor Freunde zum Spielen vorbei kamen. Geschah das spontan, waren ihre Mütter instruiert, den Job unauffällig zu übernehmen. Sich schämen für fürsorgliche Spiele. Eine meiner Töchter hat bis ins Alter von etwa sechzehn ihre Lieblingspuppe leidenschaftlich gerne gekämmt und ihr wieder und wieder neue Frisuren verpasst. Und auch ich hatte die Order, die Puppe verschwinden zu lassen, wenn Freund*innen kamen. Und ich tat es! Es handelte sich übrigens um eine Puppe, mit der schon ich gespielt hatte als Kind. Nur haben meine Schwester und ich dem armen Ding einmal sein Kunsthaar raspelkurz geschnitten und nachher lange darauf gewartet, dass es nachwachsen würde. Als das nicht geschah, haben wir die Puppe einer Kopfoperation unterzogen und ihr kurzerhand den gesamten Hinterkopf entfernt, was interessante Blicke ins Innere ihres Kopfes, insbesondere auf die Schlafaugenmechanik freigab. Als Spätfolge dieser OP musste das arg malträtierte Wesen nun stets eine Mütze tragen, passend zu seinem Faltenjupe im Schottenmuster, der blauen Strumpfhose und dem grünen Pullover, die einzigen Puppenkleider, die wir besassen, hergestellt von einer Tante. So gekleidet hat meine älteste Tochter die verstaubte Puppe kennen gelernt, als sie einmal bei meiner Mutter war und mit ihr auf den Estrich ging. Sie muss, laut meiner Mutter, furchtbar erschrocken sein, als sie dem Ding die Mütze auszog. Wieder daheim, hat das Kind endlos von dieser Puppe gesprochen, was mich veranlasste, sie in die Puppenklinik zu geben, wo sie einen neuen Hinterkopf und neues, langes Haar bekam. Ebenso stattete ich die Gesamterneuerte mit mehreren Sets moderner Kleider aus, gekauft im Spielwarengeschäft. Schön verpackt, erhielt meine Tochter die revidierte Puppe und die Kleider zum sechsten Geburtstag. Was hat sie als erstes getan? Die Puppe ausgezogen und sofort nach ihren alten Kleidern verlangt. Die ich entsorgt hatte…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Blog via Email abonnieren

Gib deine E-Mail-Adresse an, um diesen Blog zu abonnieren und Benachrichtigungen über neue Beiträge via E-Mail zu erhalten.

Loading

Deine Daten werden ausschliesslich für den Newsletter verwendet. Mehr dazu findest du in der Datenschutzerklärung.