14. Juni 2019

Zum Frauenstreik

Der folgende Text  ist vor 32 Jahren erschienen in ‚Schreibwerkstatt St. Gallen, Momentaufnahme Prosa’, VGS Verlagsgemeinschaft St. Gallen, 1987. Er sorgte für heftige innerfamiliäre Konflikte. Als Autorin und Grossmutter blicke ich in die Runde und wundere mich, dass der Text noch immer aktuell ist.  Leider.

Al dente

Immer wieder Deine raschen Blicke aus dem Küchenfenster: Ja, er ist noch dort. Mit einer nassen Hand den Telefonhörer festhalten, in der andern das Rüstmesser noch, Moment mal schnell, ja, er spielt noch im Sandkasten, und das vorwurfsvolle „Nie hast Du Zeit“, schnellt aus der Hörmuschel direkt in Dein Herz, krallt sich dort fest, der Kopfsalat fällt auseinander, kaum hast Du die äußersten Blätter entfernt, viel zu viel Sauce zubereitet für dieses bißchen Salat, das Kind steht zuoberst auf der Rutschbahn, Du hältst den Atem an, stellst Teller auf den Tisch und dabei stürzt Dein Sohn und stürzt und stürzt durch dieses kleine Stück Welt, hart der Aufprall auf den Pflastersteinen, er erklimmt gerade wieder die steilen Treppenstufen, Du rührst die Tomatensauce, schüttest wieder einmal zuviel Salz, direkt aus der Packung, in das Spaghettiwasser, Schritte im Treppenhaus, der Mann taucht auf im Türrahmen, Blicke zur Uhr, im Verzug bist Du, wieder hat er das Kind nicht mitgebracht im Vorbeigehen, es rangelt sich jetzt auf die Schaukel, kleine Hüpfer, immer erreicht es knapp das Brett und rutscht wieder ab, der Mann sucht die Zeitung, die Tomatensauce zuckt Dir in vielen kleinen Spritzern entgegen, die sich auf Deiner Bluse niederlassen, die Spaghetti würden kleben, wenn Du sie jetzt schon anrichten und dann das Kind holen würdest, umgekehrt werden sie wahrscheinlich leicht verkocht sein, der Mann wäscht sich die Hände, sagt, daß er heute mit dem früheren Zug wegfahren müsse, „Das Essen ist gleich soweit“, antwortest Du, schon die Treppe hinuntereilend, „Thomas!“, rufst Du, die Straße überquerend, der Knabe kommt dir entgegen, er schluchzt, findet sein Spielzeugauto nicht mehr, „später“, sagst Du, er brüllt jetzt, Du nimmst ihn unter den Arm, klopfst ihm den Sand von den Kleidern, vergessen, Käse zu kaufen, fällt Dir dabei ein; später ein brüllendes Kind am Tisch, ein Mann, der aufsteht, um im Kühlschrank nach Käse zu suchen, verärgert die Kühlschranktüre zuschlägt, einen Blick auf Dich wirft, auf das Kind dann, schon die zweite Teigwarenportion liegt auf Deinem Teller und ewig noch könntest Du diese Vorgänge ausdehnen: das Aufdrehen der Spaghettifäden auf die Gabel, das sie zum Munde führen, das sie zerkleinern, das angenehme Kauen und Hinunterschlucken dieser weißen Masse dann, Du überhörst dabei das Gebrüll des Sohnes, übersiehst die Blicke des Mannes, übertönst die Rufe in Dir: Nie habe ich Zeit, ja, Spaghetti machen dick, jetzt ist auch das Baby erwacht, Du beherrschst die Kunst, einhändig zu essen, das Baby liegt in Deinem linken Arm und saugt die Milch aus Deiner entblößten Brust; wenn ein Fremder jetzt käme, würde er Dir mit seinem Auftauchen vielleicht einen Hauch Erotik an Deine Brust schauen, wären die Tomatenspritzer auf Deiner Bluse auswaschbar, mit dem Verrücken Eurer Stühle rutschtet Ihr wieder hinein in eine verwackelte Familienaufnahme, preßte man Euch in Alben, sie Jahre später mit Wehmut zu betrachten.

Einen Kommentar

  • Katharina Steinemann sagt:

    Ja, da kommt mir vieles bekannt vor aus den 80 er Jahren…
    Ich bin froh, dass unsere Töchtergeneration andere Voraussetzungen hat als wir damals hatten. Und dass sie es sich anders einrichten und ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen.
    Das Buch „Keine Hand frei“war damals für mich sehr wichtig! Endlich wurde unser Alltag wahrgenommen!

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