3. Dezember 2021

Lesen oder stricken? Schreiben!

Als meine Kinder klein war, habe ich für sie oft gestrickt. Winzige Jäckchen, Strampler, Mützen. Das Stricken machte mir Freude und es verband mich auf geheimnisvolle Weise mit den Kindern. Dann wurden sie grösser,  Selbstgestricktes wurde ihnen peinlich und ich habe mit dem Stricken fast ganz aufgehört. Erst, als meine Tochter schwanger wurde, habe ich wieder damit angefangen und während ihrer Schwangerschaft eine Wolldecke für ihr Kind gestrickt. Während dieser Strickstunden ist dieses künftige Kind für mich real geworden, vorher schien mir alles so unfasslich, unfasslich schön, unfasslich aufregend, was auch damit zu tun hatte, dass diese Tochter tausend Kilometer entfernt lebt. Das Stricken aber beruhigte mich. Ich kam gut voran mit der Decke, liess meine Gedanken schweifen oder sie schweiften wie von selbst, sie surften durch die Zeiten, ich strickte wie eine Fee tausend gute Wünsche ein für das künftige Kind und malte mir aus, wie es aussehen würde und hatte doch keine Ahnung. Seither stricke ich wieder viel, für kleine und für grosse Kinder, sogar Socken stricke ich wieder, nachdem mir eine Freundin einen Crashkurs in die längst vergessene Kunst der Käppchenferse erteilt hat. Wir haben so viel gelacht dabei, weil wir uns noch nie übers Stricken unterhalten haben, üblicherweise sprechen wir über das Leben, über Bücher, tauschen Leseeindrücke aus und mailen uns, was ganz ganz dringend noch zu lesen sei. Und jetzt, ich gebe es zu, ertappe ich mich manchmal dabei, anstatt nach einem Buch zur Strickarbeit zu greifen. Etwas mit den Händen tun, das nicht kochen ist. Etwas Sichtbares und Vorzeigbares herstellen.  Etwas, das abschweifen erlaubt. Etwas, das beruhigt. Masche für Masche, Nadel für Nadel stricke ich mich durch die Zeit, vor und zurück, sehe ich meine Grossmutter vor mir, die immerzu gestrickt hat, plötzlich fällt mir ein, dass mir vor mehr als vierzig Jahren ein Freund eigenhändig eine Jacke gestrickt hat, ich sehe sie vor mir, gerippt war sie, in Brauntönen, mit Rundhals und mit Knöpfen aus Holz, hätte ich sie noch, ich würde sie sofort wieder anziehen. Aber auch die Bücher locken und rufen. Und wie. Nur mit dem eigenen Text hapert es ein wenig. Ich müsste ein paar Runden auftrennen, vielleicht neu anschlagen, müsste aus derselben, zwar schon  leicht gekräuselten ein engeres Teil schreibstricken. Nur, die Fäden lassen sich nicht so leicht lösen, das Material verknäuelt und verknotet und die Aufdröselei fordert Geduld, die ich derzeit nicht habe. Also doch besser lesen. (Ist ja auch gut fürs Schreiben, beruhige ich mich selbst, denn du entzündest dich ja oft an Wörtern). Und so verbrachte ich bereits ein paar gute Stunden mit ‘Allein’ von Daniel Schreiber. Das Buch ist schmal, aber ich lese gegen meine Gewohnheit ganz langsam. Zeile für Zeile, so frappierend ist, was der Autor über Einsamkeit schreibt. Und über Alleinsein. Und über Freundschaft. Und darüber, wie sehr unsere Idee von einem guten Leben mit der Idee von einem Leben zu zweit verknüpft ist, selbst wider besseren Wissens. Und wie sehr Einsamkeit sich verschärft und die Scham, einsam zu sein, schneidend wird in pandemischen Zeiten. Und was tut der Autor in dieser Zeit? (Ja, der Icherzähler fällt hier mit dem Autor zusammen): Er beginnt, neben langen täglichen Spaziergängen, zu stricken. «Das Stricken ist der perfekte Zeitvertreib, wenn die Welt kälter wird, der perfekte Zeitvertreib für eine Pandemie. Man nimmt seine Einsamkeit und macht etwas Schönes daraus». Natürlich strickt er nicht alle Probleme weg, aber die Passage ist für ein Herz, das fürs Lesen und fürs Stricken schlägt, einfach wunderbar. Und das Kind übrigens ist der Wolldecke längst entwachsen, es lernt jetzt lesen und schreiben und schickt erste Messages: Liebe Nonna, Socken bitte, grün und hellgrün. Dein F. Also los, an die Nadeln. 

6 Kommentare

  • valeria heintges sagt:

    es gibt ein gutes strickbuch mit dem etwas lahmen titel „zwei rechts, zwei links“. im suhrkamp verlag (!). bei manchen mustern kann ich auch dabei lesen. aber eigentlich interessieren mich nur noch die, die ein hörbuch erfordern. das allerdings ist eine tolle kombi: gutes hörbuch und schön kompliziertes muster.

  • Michael sagt:

    Zu den strickenden Herren gehöre ich nicht. Meine Mutter strickte nie. Und mein Vater auch nicht. Ob meine Grossmütter gestrickt haben, weiss ich nicht. Ich habe sie nicht kennenlernen können. Ich habe einmal von meiner Frau den Auftrag erhalten, aus einem Münchner Strickstudio eine ganz bestimmte Wolle mitzubringen. Gar nicht billig. Kein Wunder bei meiner Beziehung zum Stricken: Ich brachte eine falsche Wolle mit. Typisch. Beim Stricken ein Buch lesen? Da muss ich passen. Aber ich weiss, dass es geht. Ich seh‘ es immer wieder. Und dass sich schöne Texte übers Stricken schreiben kann, habe ich gerade lesen können.

  • Heinz Gadient sagt:

    Anfang der Siebzigerjahre bin ich ein Dreivierteljahr mit dem Zug Chur – Zürich gependelt. Da habe ich mit Stricken begonnen. Wurde als Mann damals nicht selten blöd angemacht. Wenn ich Fehler gemacht hatte oder sonst irgendein Gnuusch in der Lismete war, wartete ich einfach auf die nette Frau mit dem Getränkewägelchen, die hat es dann wieder in Ordnung gebracht. Eines Abends, kurz vor Chur, bestellte ich bei ihr noch einen Kaffee. Sie wolle mir ihn offerieren sagte sie, denn ich sei ihr allerletzter Kunde, sie gebe den Wagen heute ab und gehe in Pension. Ich meinte, das müsse doch irgendwie gefeiert werden, ob ich sie nachher zu einem Bier einladen dürfe – sie nahm dankend an. Ich war 22, sie 64 und wir sind dann bis morgens um drei ordentlich versumpft. Ich denke noch immer sehr gerne an die gute Vera.

  • Katharina Steinemann sagt:

    Wunderbar die verschiedenen Texte mit den erlebten Strickgeschichten!
    Ich erinnere mich an meine Primarschulzeit als wir bei Schwester Januaria
    ein Bébeschlüttchen stricken sollten.
    Die Nonne war sehr alt und zerbrechlich und las uns währen den Handarbeitsstunden immer vor. „Heimatlos“hiess das dicke Buch, wo sie dann ab und zu einen Schluck Wasser trinken musste.Ich hatte ganz heisse Hände und war in einer ganz anderen Welt und vergass zu stricken.
    Zuhause strickte dann Maria, die gute Fee, das Verpasste weiter. Und es war nicht zu übersehen, dass es am Schluss einige gelbliche Reihen hatte…
    Und ich war sicher, dass ich auch ein Kind war, welches gefunden wurde und keine echten Eltern hatte. Und als ich es ihnen sagte, haben sie gelacht und dies war der Beweis, dass ich recht hatte….
    Ich stricke auch heute noch, gerade für die Enkelin auf Wunsch der Tochter einen Pullover mit feinen Nadeln und feiner Wolle mit Perlmuster und ich vermisse die Nonne, die liest…

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